Leseprobe "Hasenfritz"

Keine Beute für den Hasenfritz

Von Gielert bis Hambach, Johannisnacht 1843



(...) „Selbst Prinzessin Caroline, die spätere Königin von Bayern, hat hier gekurt, Johann!“, pflegte er zu sagen. „Und Prinzessin Amalie, die Freundin Goethes und des russischen Zaren! Ja – die Spitzen der Gesellschaft flanierten hier entlang der Pappelalleen, haben sich amüsiert und auch gejagt, dabei täglich das Heilwasser getrunken und darin gebadet. Von vielen Plagen, besonders von Schwären auf der Haut und von Melancholie konnten zwei Ärzte die Herrschaft mit dem Wasser des Sauerbrunnens befreien, und samstags und sonntags, wenn die Kurgäste zum Kirchgang und zu Gesellschaftstreffen in Birkenfeld weilten, durfte das einfache Volk umsonst im Armenbad am Eingang der Anlage ins Wasser eintauchen. Ich habe das alles noch erlebt! Ich wollte, du hättest sehen können, wie in der Krugbäckerei täglich das Wasser abgefüllt und in die Welt geschickt wurde! Nach Straßburg und nach Basel, nach Metz und Amsterdam bis hin nach Riga und Petersburg wurde das Wasser verkauft! Wir aber, die wir hier lebten und arbeiteten, bekamen das Wasser umsonst.“

Nach solchen Ausführungen machte Vater immer eine lange Pause. Er liebte es nicht, durch kindliche Fragen in seinen Gedanken gestört zu werden. Johann lernte von seinem Vater, abzuwarten, und er lernte das Schweigen.

Er erinnerte sich daran, wie sein Vater von der „Roten Guillotine“ erzählt hatte. Sein Vater war dabei gewesen, vor 40 Jahren, am 21. November, dem Tag der Hinrichtung des Schinderhannes und seiner Spießgesellen mit der „Roten Guillotine“ in Mainz. Es war vielleicht 20 Jahre her, er war 14 Jahre alt und hatte damit begonnen, in die Stapfen seines Vaters zu treten, da waren sie wie schon so oft von Oberstein aus hierher geritten und hatten Rast auf den Überresten des ehemaligen Kurhauses eingelegt, Vater hatte seine Pfeife angezündet und Johann hatte erwartet, dass er wieder davon reden würde, was für ein nobler, kultivierter Ort das hier doch gewesen war, bevor die Franzosen die Anlage zur Füllung des Staatsäckels an einen reichen französischen Kaufmann veräußert hatten.

An jenem Tag aber sprach Vater nicht vom verlorenen Glanz vergangener Tage. Sein Ton wurde immer mehr von Hass erfüllt, während er erzählte: „Weißt du, Johann, ich habe gesehen, wie diese verkommenen Lumpen zum Schafott geführt und enthauptet worden sind. Der Schinderhannes selbst hat sich ehrenwert verhalten, das muss man sagen! Um ihn konnte es einem schon Leid sein. Wie er da so stand, in dem roten Hemd und der weißen Kappe … Das rote Hemd hatte man nur den Mördern angezogen. Die Guillotine war in demselben Rot gestrichen. Bei ihrem Anblick sind alle diese Kerle weich geworden, manche schrien und heulten wie Weiber, einer verlangte immerzu nur Branntwein, Branntwein. Der Schinderhannes kam als erster dran, und wie er mit seinem Pastor sprach, da hat er mir Leid getan. War vielleicht kein Guter, aber er war ein Aufrechter.“

Er schwieg und zog an seiner Pfeife, bevor er weitersprach: „Die anderen aber haben die Franzosen zu Recht hingerichtet, auch die, die keine Mörder waren. Es waren Diebe, Räuber, Säufer und Hurenböcke, verkommene Lumpen ohne Ehre im Leib, liederliche Faulenzer und Schmarotzer. Eine Schande für die Zivilisation! Solche Leute tragen nichts in sich, was einen Menschen ausmacht, keine Bildung, keine Kultur, sie leben in elenden verlausten Behausungen, kratzen sich den Grind vom Kopf und natürlich die Flöhe. Sie sind nicht mehr und nicht weniger als eine Beleidigung für den anständigen Mann, erst recht für eine Frau! Ich wünschte, es wären mehr gewesen, die aufs Blutgerüst geworfen wurden! Man kann ja über die Franzosen sagen was man will, sie sind natürlich unsere schlimmsten Feinde, die uns nichts gönnen, keine Kultur, keinen Erfolg, keinen Wohlstand. Man kann ja sehen, was Napoleon mit dieser Kuranlage gemacht hat! Ein Gräuel!“ Er seufzte und schwieg lange, sortierte seine Gedanken, bevor er weitersprach: „Die Zeiten werden nicht leichter für dich! Wenn du eines Tages Förster sein wirst, wird man den Hambacher Sauerbrunnen nicht wiedererkennen – alles wird überwuchert sein, die Steine, auf denen wir heute noch sitzen, wirst du eines Tages nicht mehr finden. Du weißt ja, wie wir uns um den Wald bei Abentheuer sorgen müssen. Nichts als Kahlschlag! Die ganze Gegend … geplündert, kahlrasiert. Du bist jung, aber du hast gelernt, wie schnell es geht, einen Baum zu fällen, und wie langsam, dass er wieder wächst. Das Diebsgesindel wird von Tag zu Tag mehr und immer dreister; wenn du dein Amt antrittst, werden die Halunken den Wald ausgeraubt haben! Wer, wenn nicht wir, kann etwas dagegen unternehmen! Wir, Johann, wir! Wir allein garantieren den Fortbestand des Waldes! Sie aber plündern den Wald, verscherbeln was lebt und versaufen das Geld im nächsten Wirtshaus! Du wirst eine harte Hand brauchen! Furcht hütet den Wald! Hörst du? Furcht hütet den Wald! Merke es dir gut!“


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